Was tun gegen Kriege und Konflikte?

Max: Hallo zusammen, geht euch das auch so? Wenn ich zur Zeit im Fernsehen oder Internet die Nachrichten sehe, macht mir das wirklich Angst. In der Ukraine ist Krieg. Und das ist gar nicht so weit weg von uns. Da mache ich mir Sorgen, ob es auch bei uns Krieg geben kann. Und ich frage mich, wie es den Kindern geht, die in den Städten und Dörfern leben, auf die jetzt Bomben fallen oder wo Panzer durch die Straßen fahren.

Wir haben auch eine neue Schülerin in der Klasse. Sie ist mit ihrer Mama aus der Ukraine geflüchtet, weil es bei ihnen zu Hause nicht mehr sicher war. Aber ihr Papa musste dortbleiben, damit er für die Ukraine kämpfen kann. Das ist doch total schlimm, oder?

Ich habe mich gefragt, weshalb es überhaupt Kriege gibt. Eigentlich lernt jedes Kind doch schon im Kindergarten, dass man Streit nicht mit Gewalt lösen soll. Deshalb telefoniere ich heute mit Heidi Tagliavini. Sie hat in ihrem Leben schon oft geholfen, wenn Länder im Streit miteinander waren. Dann hat sie als Friedensvermittlerin versucht, dass die Länder eine friedliche Lösung für ihren Streit finden.

Hallo Frau Tagliavini! Schön, dass wir miteinander telefonieren können. Können Sie mir sagen, wie Kriege überhaupt entstehen? Eigentlich sollten erwachsene Menschen doch wissen, dass Gewalt keine Lösung ist.

Heidi Tagliavini: Wenn wir uns beispielsweise fragen, warum es jetzt Krieg in der Ukraine gibt: Dafür gibt es viele Gründe. Ein Krieg fängt meistens nicht von heute auf morgen an. Er entzündet sich an vielen Sticheleien oder am Wunsch, Macht über einen anderen auszuüben. Denken wir daran, dass die Ukraine vor vielen vielen Jahren einmal zu Russland gehört hat. Aber die Ukraine ist seit über 30 Jahren ein unabhängiges Land.

Max: Ach so.

Heidi Tagliavini: Und da hat sie sich abgewendet von Russland. Aber Moskau will die Ukraine zwingen, sich wieder unterzuordnen. Und da die Ukraine das ganz und gar nicht will, hat Moskau beschlossen, dieses Land mit militärischer Gewalt zurückzuerobern. Das ist absolut verboten! Aber Moskau schert sich nicht darum.

Max: Was müssen wir auf der Welt ändern, damit es weniger Krieg gibt? Können wir selbst etwas tun?

Heidi Tagliavini: Leider glaube ich nicht, dass wir Kriege verhindern können. Kriege sind so alt wie die Menschheit. Denn wenn die Menschen den Eindruck haben, dass man ihnen unrecht tut, dann reagieren sie. Das ist auch ganz normal. Leider sind nicht alle Menschen gut. Es gibt auch einfach Neider und hasserfüllte Störenfriede, die einem Schaden zufügen wollen.

Max: Verstehe.

Heidi Tagliavini: Als einzelne Menschen können wir den großen Krieg wohl kaum verhindern. Aber wir können versuchen, im Kleinen – in unserer Familie, in der Schule – unsere spontanen Gefühle zu kontrollieren. Wenn wir beispielweise ungerecht behandelt werden, können wir versuchen, unsere Wut oder unseren Hass zu kontrollieren. Das ist schwer, aber das kann man lernen. Einmal kurz tief durchatmen. Nicht gleich reagieren. Denn dann ist man gleich mitten im Konflikt. Durchatmen und überlegen, ob es sinnvoll ist, jetzt gleich zurückzuschlagen. 

Max: Sie haben ja lange als Friedensvermittlerin in Kriegsgebieten gearbeitet. Wie kriegt man das hin, dass sich die Leute nach so einem heftigen Streit wie einem Krieg wieder versöhnen?

Heidi Tagliavini: Versöhnung ist das Allerschwierigste überhaupt. Ist erst einmal ein Krieg ausgebrochen, dann haben die verfeindeten Parteien kein Vertrauen mehr zueinander. Und ohne Vertrauen kann man keinen Frieden schließen. 

Max: Okay, ich verstehe.

Heidi Tagliavini: Das Vertrauen in die andere Partei muss nach einem Krieg Steinchen für Steinchen, wie bei einem Mosaik, wieder aufgebaut werden. Das kann Jahre dauern. Ich habe über 20 Jahre jeweils nach einem Krieg vermittelt. In keinem der Konflikte ist es zu einem wirklichen Frieden gekommen. So schwierig ist das.

Max: Wenn ich im Fernsehen Bilder vom Krieg sehe, dann sieht das alles sehr gefährlich aus. Aber ich kann mir trotzdem nur ganz schwer vorstellen, wie es Kindern geht, die mitten in so einem Kriegsgebiet leben. Können Sie mir erklären, was das bedeutet, als Kind im Krieg zu leben?

Heidi Tagliavini: Für mich ist Krieg das Allerschlimmste, was es überhaupt gibt. Krieg ist eine Katastrophe. Warum? Weil wir Menschen uns so etwas wie eine heile Welt wünschen. Eine Welt, in der wir uns entwickeln können, in der wir eine gute Ausbildung erhalten, in der wir uns freuen können und Spaß haben. Bricht ein Krieg aus, dann werden alle unsere Hoffnungen, alle unsere Pläne zerstört. Dann geht all das, was uns zu einem normalen Leben verhilft, gewaltsam zugrunde. Und noch schlimmer: Dann sterben vielleicht Familienangehörige und Schulfreunde und unser Leben wird zerstört. Das ist wie eine große, tiefe Verletzung, die nie mehr ganz heilt. Und das ist vor allem für Kinder eine Tragödie. Daher müssen wir mit Kindern, die aus einem Krieg geflohen sind, besonders geduldig und liebevoll sein.

Max: Gibt es denn etwas, was ich persönlich machen kann, um Kindern, die im Krieg leben oder die auf der Flucht sind, zu helfen?

Heidi Tagliavini: Wie schon gesagt: Mit Kindern, die im Krieg leben oder auf der Flucht sind, müssen wir besonders geduldig sein. Sie haben alles verloren und wissen nicht, was auf sie wartet. Ihr Leben ist voller Unsicherheiten. Deshalb reagieren solche Kinder manchmal auch ganz merkwürdig, für uns unverständlich. Sie haben zum Teil schreckliches erlebt und sie spüren die Angst. Die Angst vor Bomben oder vor dem Verlust ihrer Heimat, oder ihres Hauses, ihrer Wohnung. Geduldig sein und großzügig und Interesse zeigen – das wäre mein Rat.

Max: Frau Tagliavini, das war ein sehr interessantes Gespräch. Dankeschön, dass sie sich die Zeit genommen haben!